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Rue Blanche

[Foto von Dominique und Rudolf Ehrmantraut]

Als am 2. Advent 1995 die Konfirmandinnen und Konfirmanden in der Christuskirche den 24. Psalm anstimmten: „Machet die Tore weit..“ und der Psalmtext an die Stelle kam: „Er ist der Herr, stark und mächtig, der Herr ist mächtig im Streit“ da genügte eine kleine Verwechslung durch den vortragenden Konfirmanden, der aus dem „t“ ein „k“ machte und es hieß: „Der Herr ist mächtig im Streik“. Alle schmunzelten im Gotteshaus, denn die Macht eines sechs Wochen andauernden Generalstreiks lastete über dem ganzen Land und besonders über Paris. Keine Post, keine Müllabfuhr, dafür eine umso größere Solidarität untereinander, covoiturage wurde damals nicht neu erfunden, aber dankbar praktiziert. Natürlich hatte das auch große Auswirkungen auf das Gemeindeleben in der rue Blanche, auf den Schulunterricht in St. Cloud und Buc, wie wohin kommen, wenn nur 2 von 5 Züge fahren? Bei den schon erwähnten Konfirmanden war auch zwei Jungs, die sage und schreibe 160 Kilometer zurücklegen mussten, um zum Konfirmandenunterricht in die rue Blanche zu kommen, ich weiß es so genau, da ich sie einmal zu Hause in der Normandie – als symbolisches Dankeschön – besuchte.

Eine deutsche evangelische Gemeinde in Frankreich, das bedeutete zu „unserer“ Zeit zwischen 1995-2002 noch viele Begegnungen mit Menschen zu haben, die durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges ihre Heimat verloren hatten und manchmal auf ganz atemberaubende Weise nach Paris kamen und dort in der deutschen Gemeinde eine neue Heimat und Vertrautheit zu fanden. Natürlich die vertraute Sprache, aber auch die vertrauten Lieder, das Vater Unser in seiner/ ihrer Sprache beten zu können, der Adventsbasar und die Weihnachtsfeier des Deutschen Sozialwerks in den Räumen der Botschaft.

Uns war es als deutsch-französisches Ehrpaar immer wichtig Brücken zu bauen, auch Sprachbrücken, gerne erinnern wir uns an deutsch-französische Taufen, Trauungen, an die Gottesdienste am Christi Himmelfahrt bei den Diakonissen in Versailles, die ökumenischen Begegnungen in und mit unserer Nachbargemeinde Trinité. Beim Weltjugendtreffen damals in Paris sollte und musste die Trinitégemeinde 2000 Jugendliche beherbergen, gerne leisteten wir „Amtshilfe“ und nahmen auch Jugendliche und Erwachsene bei uns in der rue Blanche auf, wir feierten, sangen und beteten gemeinsam. Sprachbrücken waren auch von Nöten als wir mit der Kameruner Gemeinde an Sonntagnachmittagen in mehreren Sprachen über mehrere Stunden Gottesdienst feierten, oft konnten wir die Predigt halten, doch einmal, von mir angesprochen, warum denn die Gottesdienste so lange dauerten, meinte Pastor Mbem nur trocken: „Monsieur le pasteur, chez nous le temps est élastique“. Ende der Debatte.

Noch heute steht mir die Chorleiterin der Kameruner Gemeinde vor Augen, ich kann sie noch regelrecht hören. Sie gab immer nach der Predigt ihrem Chor ein paar Schlüsselgedanken aus der gerade gehörten Predigt weiter, diese wurden zugleich in Musik übersetzt und in einen großen Lobpreis verwandelt. Einfach genial! Sowie die gesamte Kirchenmusik in der rue Blanche, die Konzerte mit Frau Schauerte, die Zusammenarbeit mit dem conservatoire, die Bachkantatenaufführungen im Gottesdienst, das alles klingt noch nach. Brücken baute auch meine Frau als französische Pfarrerin in einer deutschen Gemeinde in ihrem Heimatland. Brücken zu in Paris und Umgebung lebenden Menschen, die durch Krankheit oder Verlust der Arbeit oder andere Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen wurden. Die Mitglieder des Besuchskreises suchten sie auf, sprachen mit ihnen, machten Behördengänge, als französische Muttersprachlerin war es viel einfacher für sie gezielt helfen zu können.

Vieles war uns aus Deutschland vertraut und doch durch den laizistisch geprägten Kontext in Frankreich ungewohnt. Richtig gewöhnungsbedürftig war für mich, dass Karfreitag kein Feiertag in Frankreich, abgesehen vom Elsass, ist.

Gewöhnungsbedürftig für uns beide war, als unsere älteste Tochter, die damals in die französische Schule in der rue Blanche ging, nach Hause kam und uns erzählte, sie dürfe nicht mehr mit ihrem kleinen Hugenottenkreuz, das sie von ihrer französischen Oma zur Taufe geschenkt bekam, in die Schule kommen. Richtig gut und herzlich waren die Kontakte zu unseren französischen Nachbargemeinden Batignolles in der rue Dulong und La Rédemption in der rue Chauchat. Beim dort angesiedelten lutherischen Hilfswerk (SEL) arbeiteten wir mit, schrieben Artikel für die Kirchenzeitung, packten bei Gemeindefesten mit an, regelmäßig waren auch Gemeindeglieder von dort bei uns im Gottesdienst und zu anderen Gemeindeveranstaltungen. Dabei sind Freundschaften gewachsen, auch zu anderen deutschen Auslandsgemeinden. So sind wir unter Leitung meiner Frau mit über 20 Kindern nach Den Haag mit dem Zug gefahren. An der niederländischen Küste strandete vor Jahren ein großer Wal, der konserviert in einem Museum in ganzer Größe zu bewundern ist. Das Thema des Kinderbibeltages war Jona und der Wal. Die Kinder kehrten mit ganz neuen Einsichten und Erkenntnissen wieder nach Paris zurück. Schöne Kontakte gab es auch zu Auslandsgemeinden in Paris. Ich denke an den amerikanischen Kollegen, der seine ganze Arbeit unter ein Motto stellte: „Blühe dort auf, wo Gott dich hingepflanzt hat“.

Das möchten wir auch der Deutschen Evangelischen Christuskirche, dem Augustana Schifflein Christi in Paris zum Jubiläum wünschen: Blühe weiter auf, bringe gute Früchte, stehe auf festen Wurzeln.

Dr. Dominique und Rudolf Ehrmantraut

Datum der letzten Änderung
Letzte Änderung 2019-08-29, 22:34:32 (GMT)
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