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Die Geschichte der Gemeinde

Ausführlich können Sie die Geschichte der »Deutschen Evangelischen Christuskirche Paris« in der Chronik nachlesen, die Pfarrer Wilhelm von der Recke zum 100-jährigen Jubiläum der Christuskirche 1994 unter dem Titel »fluctuat nec mergitur« Deutsche Evangelische Christuskirche Paris 1894-1994 herausgegeben hat.

1. Die Anfänge der Kirche ab 1626

Die Anfänge der Kirche (1626-1798) gehen auf die schwedische Botschaft in Paris zurück. In Frankreich war evangelischer Gottesdienst selbst nach dem Toleranzedikt von Nantes durch Heinrich IV: von 1598 nur an bestimmten Orten möglich, in Paris aber verboten. Evangelische Diplomaten, Adlige, Kaufleute und Studenten trafen sich daher auf dem exterritorialen Gelände der Schwedischen Gesandtschaft, um in der Sprache Luthers, auf Deutsch, Gottesdienst zu feiern. Der erste Pfarrer, Jonas Hambraeus, kümmerte sich aber auch um die zahlreichen Deutschen, vor allem die Flüchtlinge des Dreißigjährigen Krieges.

1679 wurde daraus eine offizielle Gemeinde, noch immer unter dem Schutz der schwedischen Botschaft, zumal, nachdem das Toleranzedikt Heinrichs IV. 1685 von Ludwig XIV. in Fontainebleau widerrufen worden war. Mit der Gemeindegründung versuchte man, drei Probleme der evangelischen Emigranten zu lösen: durch eine Armenkasse half man den Bedürftigen, die von katholischen Institutionen nichts zu erwarten hatten; man organisierte eine Krankenpflege für diejenigen, die wegen ihrer Konfession in kein Krankenhaus aufgenommen wurden; man regelte die Bestattung der Verstorbenen, die auf den (katholischen) Friedhöfen keinen Platz bekamen.

Mit der Vertreibung der Hugenotten (der französischen Reformierten) aus Frankreich änderte sich die soziale Struktur der deutschsprachigen Gemeinde: Nach dem Tod Ludwigs XIV. 1715 kamen viele evangelische Handwerker und Facharbeiter nach Paris, um die vertriebenen oder ermordeten Hugenotten zu ersetzen. 1711 gewährte der schwedische König der Gemeinde daher den Status einer ordentlichen Gemeinde, er bezahlte fortan den - meist deutschen - Pfarrer. Der elsässische Theologe und Historiker Baer steht für den Aufstieg der Gemeinde: Trotz der Rechtslage entsand 1743 ein lutherisches Krankenhaus; die Toten konnen auf dem »protestantischen Friedhof für Ausländer« offiziell bestattet werden; ab 1743 fanden als Zeichen der Integration in die Gesellschaft einmal im Monat auch ein Gottesdienst in französischer Sprache statt. Baer wurde von Ludwig XV. sogar geadelt.

Neben die Gemeinde in der schwedischen Botschaft trat bald eine zweite deutschsprachige Gemeinde in der dänischen Botschaft, zu der sich eher die evangelischen Arbeiter und das Dienstpersonal in Paris hielten. Der schwedische Zweig der Kirche geriet als vermeintlicher Anhänger der Royalisten in die Wirren der französischen Revolution 1789; die dänische Kapelle blieb davon unberührt. Die Revolution erleichterte die Einbürgerung von Ausländern und legalisierte den Protestantismus.

2. Eine deutsch-französisch-lutherische Kirche im 19. Jahrhundert

Durch die Annexion des württembergisch- evangelischen Mömpelgard (Montbéliard) durch Napoleon stieg der protestantische Anteil der sonst nur in Elsass-Lothringen vorhandenen evangelischen Bevölkerung. Durch die »articles organiques« von 1806 garantierte Napoleon Religionsfreiheit; die lutherische Kirche wurde anerkannte Staatskirche (die Pfarrer waren Beamte) und erhält die ehemalige Klosterkirche »Les Billettes« im Marais-Viertel in Paris - bis heute eine lutherische Kirche, übrigens mit Paris' ältestem noch vorhandenen Kreuzgang. Kirchenverwaltung und theologische Fakultät werden in Straßburg eingerichtet. Ab 1821 wurde die Zahl der deutschen Einwanderer so groß, dass an jedem Sonntag auch ein deutscher Gottesdienst gefeiert wurde. Gleichwohl ist das 19. Jahrhundert ein Jahrhundert der langsamen Trennung des deutschen vom französischen Teil in dieser lutherischen Kirche.

Unter dem Bürgerkönig Louis-Philippe, dessen Schwiegertochter (und damit potentiell zukünftige Königin) eine lutherische Prinzessin war, erlebte die Kirche ihre Blütezeit. 1843 wurde die repräsentative Kirche Rédemption (Erlöserkirche) in der rue Chauchat im 9. Bezirk eingeweiht - heute Sitz der lutherischen Kirche in Frankreich. Auch der Baron Haussmann, der als Präfekt der Seine-Region Paris durch eine radikale Umgestaltung sein heutiges Gesicht gab, war Mitglied dieser Gemeinde. Mit der Revolution von 1848 endete diese Blüte.

Aus politischen und ökonomischen Gründen zogen Tausende Deutsche nach Paris. 1848 lebten etwa 67000 Deutsche in der Hauptstadt. Die Straßenkehrer etwa rekrutierten sich fast ausschließlich aus Hessen. Die soziale Not war groß; die Industrialisierung zog Arbeiter und Tagelöhner an, die in Elendsquartieren hausen. Die Erweckungsbewegung versuchte, der seelischen und sozialen Not zu begegnen. Pfarrer Meyer gründete mit der »Mission évangélique parmi les Allemands« eine erste diakonische Einrichtung, die von Deutschland aus mitgetragen wurde.

Von 1858 bis 1864 wirkte der große Organisator der Diakonie Friedrich von Bodelschwingh als Pfarrer in Paris. Er sammelte die verelendeten Arbeiter und vor allem ihre Kinder, baute Schulen, Einrichtungen und für die verarmten deutschen Einwanderer im Nordosten die Hügelkirche (heute eine orthodoxe Kirche) und die Kirche Ascenscion (Himmelfahrt) in Batignolles, die 1866 eingeweiht wurde.

Mit dem deutsch-französischen Krieg 1870/1 verstärkte sich die Ablösung des deutschen Zweigs der lutherischen Kirche vom französischen. Die Gründe reichen weit ins 19. Jahrhundert zurück:

  • die Integration der deutschen Einwanderer blieb, vor allem sprachlich, schwierig

  • Die deutschen Pfarrer konnten keine Beamten werden und blieben damit immer Hilfspfarrer.

  • Die Frage nach der Gottesdienstsprache blieb offen: zeitversetzt wurde er auf französisch, dann auf deutsch gefeiert. Die Deutschen fürchteten, dass sich die jungen Leute durch zuviel Französisch kulturell und religiös ihren Wurzeln entfremden würden.

  • Die »Mission allemande« stand organisatorisch neben dem Konsistorium (Kirchenverwaltung) und wurde zunehmend zum Instrument deutscher Interessen.

Die Niederlage Frankreichs im Krieg 1871 brachte den endgültigen Bruch:

  • Durch die Annexion Elsass-Lothringens verlor die lutherische Kirche Frankreichs 90% ihrer Mitglieder; viele frankophone Lutheraner flohen aus dem Elsass nach Paris.

  • Schon 1870 mussten die meisten Deutschen Paris verlassen, viele kehrten 1871 nicht zurück.

  • Die diakonische Arbeit hatte sich in eine »Mission intérieure« (innere Mission) für die Franzosen und einen von Deutschland aus organisierten und finanzierten »Deutschen Hilfsverein« gespalten.

  • Die Besitzverhältnisse waren unklar: Welchem Gemeindeteil gehörten die von Bodelschwingh gegründeten Kirchen? 1879 wurde ein Kompromiss erzielt, der aber nur provisorisch war.

Ab 1888 verfolgte der neue deutsche Kaiser Wilhelm II. eine aggressive Außenpolitik. Die deutsche Gemeinde sollte eine national ausgerichtete, selbstbewusste und selbständige werden. Seine Anhänger betrieben daher den Aufbau einer organisatorisch unabhängigen Gemeinde im Herzen Paris'. Wegen des Streits um die Gottesdienstzeiten in den Kirchen Rédemption und Les Billettes betrieb man den Bau einer eigenen Kirche, der Christuskirche in der Rue Blanche, die 1894 - fast ganz ohne französischen Beteiligung - eingeweiht wurde.

3. Die deutsche Kirche im Wechselspiel der Geschichte des 20. Jahrhunderts

Bis 1905, bis zur strikten Trennung von Staat und Kirche in Frankreich (»laïcité«) kam, blieb die Gemeinde formal Teil der lutherischen, französischen Konsistorialkirche. Ab 1905 wurde sie - wie alle Kirchen in Frankreich - ein eigener Kultverein (»association cultuelle«). Nach innen war die Christuskirche am Anfang des 20. Jahrhunderts eine rein deutsche Kirche, die sich als konfessionelle, aber auch nationale Heimat in der Fremde verstand und alle sozialen und diakonischen Aufgaben selbständig organisierte. 1911 wurde vor die Kirche das bis heute bestehende Gemeindehaus mit Sälen, Büro und Pfarrwohnung gebaut. Die Hügelkirche in La Villette und die Billettes-Kirche gehörte weiterhin zur deutschen Gemeinde, die drei Pfarrbezirke umfasste. Das Leben der deutschen evangelischen Gemeinde war gemäß dem Gesetz von 1905 weitgehend in Vereinen organisiert. Es existierten ein Heim für junge Frauen und Mädchen, ein Lehrlingsclub, ein Unterstützungsverein für die Deutsche Schule u.a.m. Noch bis 1914 expandierte das Gemeindeleben.

Der Einheit von »Thron und Altar« - der deutsche Kaiser war zugleich oberster Bischof der protestantischen Kirche - und dem Patriotismus der Zeit folgend war die Gemeinde dieser Epoche - eher deutsch als evangelisch-lutherisch. Entsprechend bedeutete der Kriegsausbruch 1914 das Ende der Gemeinde: Die Kirchen wurden konfisziert, die meisten Gemeindeglieder kehrten nach Deutschland zurück, alle Einrichtungen und Vereine wurden geschlossen. Erst 1927 konnte Pfarrer Dahlgrün unter schwierigen Bedingungen die Gemeindearbeit wieder aufnehmen, nach zähen, schwierigen Verhandlungen der Botschaft, unter Fürsprache der französischen Protestanten und unter den Voraussetzungen des Versailler Vertrags und der inzwischen auch in Deutschland erfolgten Trennung von Staat und Kirche. Auch in Deutschland mussten sich die Kirchen nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments nun in der Weimarer Republik 1918 selbst organisieren, ohne die Landesherren als oberste Bischöfe. Ab 1929 wuchsen gegen den politischen Trend die Kontakte zu den französischen evangelischen Kirchen, besonders unter den jungen Leuten. Die Weltwirtschaftskrise aber traf auch die deutsche Gemeinde empfindlich. Das Gemeindeleben beschränkte sich nun auf die Rue Blanche; die anderen Kirchen wurden verkauft.

Die Zeit von 1933 bis 1945 war für die Christuskirche eine äußerst ambivalente, schwierige Phase: Einerseits war die Gemeinde finanziell und personell vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss abhängig, der ab 1934 von den Deutschen Christen, einer der der NSDAP nahe stehenden Bewegung in der evangelischen Kirche, dominiert wurde. Ab 1940 war die Gemeinde zudem Soldatengemeinde. Andererseits beherbergte sie Flüchtlinge und Verfolgte des Naziregimes. Die wünschenswerte Eindeutigkeit der Bekennenden Kirche war in Paris unmöglich.

1945 erfolgte erneut der Zusammenbruch: Die Deutschen verließen die Stadt, die Gebäude wurden erneut requiriert, die Gemeinde aufgelöst. Glücklicherweise bezogen drei kirchliche Institutionen das Gebäude in der Rue Blanche: Die das französische evangelische Flüchtlingshilfswerk CIMADE, die schwedische Israelmission und die französische »Seelsorge an evangelischen Ausländern«. Die gottesdienstliche, soziale und seelsorgerliche Betreuung übernahm der zweisprachige Bremer Pfarrer Franz de Beaulieu, der später in die Bretagne zog. Ab 1948 bündelte mit Hilfe des Lutherischen Weltbundes das »Comité luthérien d'Aide aux Réfugiés« (CLAIR), das lutherische Hilfskomitee für Flüchtlinge, die Arbeit an den verbleibenden Deutschen.

4. Eine unierte evangelische Kirche für alle deutschsprachigen

Erst am 1. September 1954 wurde mit Pfarrer Dahlkötter die Gemeindearbeit offiziell wieder aufgenommen. Die Gemeinde ist seitdem vertraglich mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), aber nicht mehr mit einer (lutherischen) Landeskirche verbunden. Sie wurde zur Heimat aller deutschsprachigen Christinnen und Christen evangelischer Bekenntnisse.

Mit der Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses wurde auch die Arbeit leichter, die Kirche entwickelte sich zur Brücke zwischen Deutschen und Franzosen, wurde angeschlossnes Mitglied des Bundes evangelischer Kirchen in Frankreich (FPF). Eigentümer der Gebäude ist die Gemeinde erst wieder seit 1984.

Aus den zwei Pfarrstellen Paris West und Paris Zentrum sind inzwischen 1½ geworden, seit 1987 versieht stets ein, von der Gemeindeversammlung der (freiwilligen und zahlenden) Mitglieder direkt gewähltes Pfarrerehepaar den Dienst in der Christuskirche.

5. Dokumente

Datum der letzten Änderung
Letzte Änderung 2019-03-11, 18:48:59 (GMT)
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